Es ist seltsam das zu schreiben, aber Geisteskrankheiten begleiten mich schon mein ganzes Leben.

Ich wuchs in Haar, einem Münchner Vorort auf. Ein beschaulicher und schöner Ort der eine der größten psychiatrischen Anstalten in Deutschland beherbergt. Ein wunderschönes Areal mit alten Jugendstil Gebäuden, wunderschönen Grünflächen und einer friedlichen Atmosphäre Aber auch mit einer grausamen Vergangenheit, denn im 2. Weltkrieg wurde hier Euthanasie betrieben.
Als ich davon hörte beschäftigte ich mich das erste mal genauer mit der Geschichte der Psychiatrie und war seit dem fasziniert von diesem Thema.
2013 besuchte ich das erste Mal im Zuge einer meiner Fototouren eine der ehemaligen Anstalten in Italien. Im Nachhinein erfuhr ich  mehr über die teils unmenschlichen Zustände und war mir klar das ich diese Orte fotografisch dokumentieren will.

Dabei geht es mir nicht um den Gruselfaktor der sondern das es sich dabei auch um ein fast unbekanntes Stück der Menschheitsgeschichte handelt mit dem Schicksale von Hunderttausenden verknüpft sind. Zudem faszinieren mich Orte die eine negative Aura. Denn man kann nicht nur positives als Inspiration nutzen sondern auch Gefühle wie Beklommenheit, Tragik und Trauer. 

In der Historie der Psychiatriegeschichte gibt es viele Flecken auf der weißen Zwangsjacke. Besonders Italien und ihre Manicomio war hier im letzten Jahrhundert leider ein Paradebeispiel. Der Gesetzeserlass von 1904 erlaubte es unter anderem den Polizeikräften eine Dringlichkeitsanforderung für eine Einweisung zu erwirken. So kam es das nicht nur psychisch kranke Menschen sondern auch “unangenehme” Personen wie Obdachlose, Kleinkriminelle etc. ohne Diagnose eingewiesen und entmündigt wurden. Zu dem hatte die Kirche ebenfalls die Möglichkeit zu bestimmen wer psychisch krank war. Die Mediziner und die jeweiligen anderen Parteien steckten hierbei unter einer Decke, so das die Ärzte oftmals eine Erkrankung bestätigten obwohl keine bestand.
Später zu Zeiten als der Faschismus in Italien herrschte wurden auch politische Gegner, behinderte Menschen und sonstige Personengruppen die dem Regime nicht in ihr Gesellschaftsmodell passten unter dem Vorwand der “sozialen Gefährlichkeit” in die Anstalten gesperrt. So kam es das von 1926 bis 1941 die Anzahl von 62.000 auf fast 100000 Insassen anwuchs.

Die Lebensbedingungen in den Manicomis waren meist Menschenunwürdig und die Behandlungsmethoden fragwürdig und grausam. Insulinschocktherapie, Rückhaltesysteme wie Zwangsjacken und Fixierungsschellen oder Lobotomie waren gängige Methoden. Besonders die später eingeführte Elektroschocktherapie hatte verheerende Auswirkungen. Die Elektroschocktherapie findet sich auch heute noch als Behandlungsmethode in extremen Fällen der Schizophrenie, da sie in schweren Fällen Wirkung zeigen kann. Aber sie wird heutzutage unter Aufsicht und anderen Voraussetzungen durchgeführt. Am schlimmsten traf die Insassen aber die fehlende Fürsorge und der Raub der menschlichen Identität. Oftmals wurden die Menschen entmündigt und bis zu ihrem Tod einfach weggesperrt der oftmals auch verfrüht eintrat.  

Ein potentiell gefährlicher Patient, festgehalten in einer Art von Käfig
Psychiatrisches KRankenhaus Trieste,Italien, 1979. © Raymond Depardonaus seinem großartigen Buch  Manicomio

Eine verstörende Szene  © Raymond Depardon aus seinem großartigen Buch  Manicomio

Szene aus dem Manicimio Villa Chiara in Caligari. Jahr unbekannt © Josto Manca

© Gianni Berengo Gardin aus seinem großartigen Buch  Manicomi

Welche Auswirkungen die fragwürdige Diagnostik und falsch gedeutete Symptomatik haben kann zeigt der Fall von Vicenzo.
Hier ein Auszug aus seiner Krankenakte von Vicenzo M. der mit 17 Jahren eingewiesen wurde und die folgenden 27 Jahre in der selben Station “gehalten” wurde:

  • 10.5.47 Elektroschock
  • 10.7.47 fiebrig belegte Zunge
  • 10.11.47 nichts Neues
  • 12.4.48 immer apathisch, stumpfsinnig, jeder Initiative beraubt. Drückt keine Wünsche
  • aus; lächelt nichtssagend, isst freiwillig, scheint nicht zu halluzinieren.
  • 10.11.61 (nach 13 Jahren) schwere geistige Verwirrung, apathisch, untätig, indifferent.
  • 1964 ruhig, nicht aggressiv, untätig
  • 1967 unverändert
  • 1970 nicht ansprechbar, beschmutzt sich, apathisch indifferent

(Quelle)

Der Junge wurde erst in der Anstalt zu dem was sie einen “Irren” nannten. Zuvor war er ein normaler Junge der Fußball liebte und gut gebildet war. Diagnose: chronische Schizophrenie. Mehr ging aus den spärlichen Krankenakten nicht hervor.

Zu einem Ende der dieser dunklen Zeit kam erst 74 Jahre später. als am 13.Mai 1978 das Legge 180 (Gesetz 180), erlassen wurde. Die  Manicomis in ihrer alten Form wurden geschlossen. Zu verdanken war das vor allem dem Arzt Franco Basaglia der die Anstalten und Behandlungsweisen grundlegend infrage stellte und somit auch den Weg zu einer grundlegenden Änderung in psychiatrischen Medizin ebnete. Deswegen wird das Gesetz 180 auch das Basaglia Gesetz genannt.

Trotz der grausigen Historie der italienischen Manicomis, bekleckerten sich auch viele andere Länder bei diesem Thema nicht mit Ehre. Weltweit gab es ähnliche Einrichtungen und Behandlungsmethoden. Auch viele der Ärzte, Pfleger und Schwestern gaben ihr bestmögliches. Sie wussten es oftmals auch nicht besser. Die Psychiatrische Medizin steckte noch in ihren Kinderschuhen und war, von dem was heute an Wissen und Möglichkeiten vorhanden ist, noch Lichtjahre entfernt.

Das Irrenhaus ist ein gigantischer Resonanzkörper,

und das Delirium: Echo,

die Namenlosigkeit: Maß

Das Irrenhaus ist der verwunschene
Berg Zion, auf dem du die Tafeln eines Gesetzes erhältst,
das die Menschen nicht kennen.

( Alda Merini , Dichterin, über 20 Jahre Insasse in einem Manicomio)
(Aus dem Italienischen von Christoph Ferber ,NZZ Sa 6. März 2010)

Heute stehen viele der Anstalten seit Jahrzehnten leer. Sie sind Mahnmäler der Unwissenheit und Intoleranz und sie sind Denkmäler für tausende schrecklicher Schicksale unschuldiger, kranker Menschen.

Dementsprechend empfand ich auch eine intensive melancholische und beklemmende Stimmung als ich diese Orte besuchte. Hohe, klosterähnliche Gänge, Hochsicherheitstrakte mit Zellentrakten und Schlafsäle die oftmals für 100 Personen oder mehr angelegt waren. Manche Hinterlassenschaften erzeugten auch ein bisschen Gänsehaut. Badewannen die Stromzugang hatten, Alte OP-Liegen, Kinderstühle mit Fußfesseln und alte Leichentische. Auch die Aussenanlagen und Innenhöfe der Manicomios hatten einen gespenstischen Touch. Große Arkadengänge die meist rechteckig angelegt waren und mit Schlingpflanzen und anderer Vegetation überwuchert sind. 

Ich selbst kenne die Seite einer psychischen Erkrankung leider auch aus der 1.Hand und kämpfe seit Jahren mit Depressionen. Und auch ich hab die Erfahrung gemacht, was es heißt als Erkrankter nicht richtig ernst genommen zu werden. Auch wenn die Gesellschaft große Schritte was die Toleranz und das Verständnis bei psychischen Erkrankungen gemacht hat, gibt es immer noch großen moralischen Aufholbedarf. Besonders psychische Erkrankungen die der Allgemeinheit nicht so bekannt sind, stoßen immer noch auf Unverständnis.

Genau aus diesen Gründen ist mir dieses Projekt auch so wichtig und hoffe damit auch ein wenig Aufmerksamkeit dahin zu lenken, sich mehr mit diesen Teil unserer Gesellschaft auseinander zusetzen denn es ist sicher das psychische Krankheiten weiter zunehmen werden und es einem Betroffenen unglaublich hilft seinen Heilungsprozess ohne Stigmatisierung zu bestreiten. Wir brauchen mehr offene Arme anstatt noch mehr Isolation für diese Menschen. Und ein Bewusstsein das es uns morgen auch treffen könnte.

Ich versuche nach und nach eigene Fotostrecken über die einzelnen Anstalten zu veröffentlichen, denn die spannenden Motive würden jetzt den Rahmen sprengen.
Einen erste Strecke findet ihr bereits hier