Der Putz bröckelt langsam von den Wänden und ich bewege mich vorsichtig durch die Gänge. Manchmal blicke ich auf das innere des Stahlbetons, denn die Ummantelung liegt schon länger zerfallen auf dem Boden. Es ist still.

Es wirkt ein wenig wie eine Parallelwelt wenn man einen dieser Orte betrifft und ich selbst wusste nicht wie ich hier denken und fühlen kann/sollte/wollte. Einerseits war ich von der teils sehr schönen Architektur begeistert und vergaß zeitweise wo ich mich hier befinde, andererseits sah ich dann wieder plötzlich verbarrikadierte Türen, sah alte Menschen auf den Gängen oder sah Kinder spielen, was mir wieder klar machte da es doch auch ein Zuhause von Menschen ist, welche ihr eigentliches Zuhause einst verloren.

Es kamen 6000 Menschen nach dem Abchasien – Georgien Krieg 1992/1993 als IDP´s (Internal Displaced People) nach Tskaltubo. Internal deswegen weil Abchasien vor dem Krieg ein Teil von Georgien war und eigentlich immer noch ist. Nur 7 Staaten haben Abchasien offiziell als selbständigen Staat anerkannt. Russland, Venezuela, Nicaragua, Nauru, Vanuatu,Syrien und Tuvalu. Vanuatu und Tuvalu haben dies mittlerweile revidiert .(danke Roman) Für den Rest der Welt ist Abchasien immer noch ein Teil Georgiens.
Die Menschen die heute hier leben sind Georgier und wurden von den Abchasen ethnisch verfolgt, weshalb sie flüchteten da sie im schlimmsten Fall den Tod und Folter fürchten hätten müssen. Auf Wikipedia könnt ihr über das Massaker von Suchum nachlesen, bei dem 7.000 georgische Zivilisten ermordet wurden.

So auch Wassili, den ich vor einem Sanatorium antraf. Er sprach kein Englisch, aber ich habe verstanden das er aus Sukhum kommt und wegen dem Krieg flüchten musste. Trotz all der Grausamkeit des Krieges und den Verlust der eigenen Heimat sowie den Umständen wie viele hier leben müssen, waren alle sehr gastfreundlich und zuvorkommend. 
Ich will Wassili meine Schachtel Zigaretten schenken was ihn sehr freute, er dennoch dankend ablehnte . Stattdessen will unbedingt ein Foto machen und mich auf einen (oder zwölf) Schnpas in seine Wohnung einladen. Ich musste ablehnen da ich nicht trinke, aber ein Foto machten wir selbstverständlich.

Wir verabschiedeten uns, aber vorher zeigt er mir noch ein paar schöne Ecken. Dann gab er mir einen Bruderkuss auf die linke und rechte Wange und ging.
Ich war von diesem Erlebnis wirklich sehr berührt. Er lies mich mit einem komischen Gefühl im Bauch zurück welches mich daran erinnerte das hinter jedem Menschen hier auch ein Schicksal steckt. Doch als Fotograf haben wir einfach eine voyeuristische Ader in uns und es geht in unseren arbeiten nicht nur um das schöne dieser Erde. Auch die tragischen, schrecklichen Geschichten dieser Erde müssen erzählt und gezeigt werden.
Ich versuchte ab diesem Zeitpunkt zu differenzieren zwischen dieser Schicksale und den schönen Gebäuden wegen welchen ich eigentlich hier war. Dennoch versuchte ich die Privatsphäre dieser Menschen so gut es ging zu wahren.

Zurück zu Tskaltubo und den Gebäuden…

Tskaltubo Momentaufnahmen an einem regnerischen Tag

Tskaltubo war zu Sowjetzeit ein beliebter Kurort der für seine Radonquellen bekannt war. Stalin hatte hier nicht nur seine eigene Dacha, sondern auch sein ganz persönliches Bad, das SPA No. 6. Während seine Mutter hier öfters zu Gast war, ließ sich Josef Stalin nur einmal hier blicken. Dafür erfuhr ich vom Spa Chef das Jelzin hier im besoffenen Zustand seine Frau in Stalins Becken geworfen hat. Nette Anekdote aber irgendwie nicht wirklich verwunderlich denn „party hard“ ist ein russisches Kulturgut 🙂

Stalins Bad

Das SPA No. 6 ist mittlerweile einer der wenigen welches wieder vollständig (bis auf das Stalin Bad) seinen Betrieb aufgenommen hat.
Der Großteil, ca. 12 – 14 Hotels,Sanatorien und SPA´s, sind weiterhin dem Verfall ausgesetzt.
Über die Jahre wurde das meiste an Inventar verkauft, umgenutzt oder ist sonstwo verschwunden. Doch findet sich neben der schönen Architektur auch hier und da noch das alte Inventar welches mich immer wieder in Gedankenreisen verschlägt. So wie diese Bibliothek in einem alten Sanatorium:

Was den architektonischen Charme der alten Gebäude betrifft, lasse ich einfach die Bilder sprechen. Es müssen einst unglaublich wunderschöne Orte gewesen sein.

Ob der Ort eines Tages wieder im alten Glanz erscheinen wird, ich bezweifele es, aber muss er in meinen Augen auch nicht. Tskaltubo hat aus seinem Schicksal auch die Chance ergriffen sich eine eigene Lebenskultur zu kreieren, die sich als sehr gastfreundlich, intensiv und kreativ erwies. Ich denke bei meinem nächsten Georgienbesuch, werde ich doch auch wieder einen kurzen Stopp in Tskaltubo machen.